Jungvögel - was tun?

Ein Jungvogel hat die besten Überlebenschancen, wenn er von den Altvögeln gefüttert und betreut wird. Eine goldene Regel lautet deshalb: Lassen Sie Jungvögel dort, wo sie sind! In den seltensten Fällen sind sie wirklich verlassen.

Nestflüchter und Nesthocker

Bei den Vögeln wird nach den unterschiedlichen Entwicklungsstadien der Jungen zum Zeitpunkt des Schlüpfens zwischen Nestflüchtern und Nest- hockern unterschieden. Nestflüchter besitzen beim Schlüpfen ein vollständiges Dunenkleid und kön- nen sofort laufen und/oder schwimmen. Sie begin- nen schon bald, selbständig Nahrung aufzunehmen. Beispiele von Nestflüchtern sind Enten und Hühner- vögel. Bei den Nesthockern verbleiben die zuerst nackten und blinden Jungen über längere Zeit im Nest, wo sie von den Altvögeln gefüttert und umsorgt werden. Nesthocker sind zum Beispiel Greifvögel, Eulen, Spechte, Segler und die Singvögel.

Nesthocker verlassen manchmal ihr Nest, bevor sie richtig fliegen können. Verbreitet ist dies z.B. bei Amseln und anderen Drosseln. So kommt es ab und zu vor, dass wir einen scheinbar verlassenen Jung- vogel finden. Diese ungeschickt herumflatternden Jungvögel sind aber meistens nicht verletzt oder aus dem Nest gefallen, wie oft angenommen wird. Sie halten sich häufig versteckt in ihrer Nestumge- bung auf, wo sie von den Eltern gefüttert werden. Deshalb wäre es falsch, diese Jungvögel mitzuneh- men, besonders weil ihre Überlebenschancen in Pflege drastisch sinken und weil die Auswilderung schwierig ist.

Wann soll man einschreiten?

Einschreiten soll man nur, wenn man sicher ist, dass sich der Vogel in Gefahr befindet oder verlassen ist (Zerstörung des Nestes, Tod der Altvögel). Sitzt ein Jungvogel auf einer Strasse oder ungeschützt vor Katzen oder Regen, so hebt man ihn auf und setzt ihn in die nächste Hecke oder in den nächsten Baum. Wenn man aus Distanz (mind. 50 m) festge

stellt hat, dass das unselbständige Junge während einer Stunde nicht von den Eltern mit Futter versorgt wird, kann man es in Obhut nehmen. Dabei müs- sen Sie wissen, dass alle Nesthocker, ausser den Singvögeln, ausserordentlich schwierig aufzuziehen sind. Zudem ist für die Pflege und Haltung von wild- lebenden Vogelarten eine Haltegenehmigung erfor- derlich, die vom Kanton erteilt werden muss.

Am besten bringen Sie den Vogel einem Spezi- alisten, der ihn fachgerecht betreut. Als Fachstellen mit den nötigen Einrichtungen gelten: Offizielle Pfle- gestationen, Tierspitäler, Zoos, die Vogelwarte und grössere Volieren. Die aktuelle Liste der Pflegesta- tionen kann beim SVS oder der Vogelwarte ange- fordert werden.

Falls Sie einen wildlebenden Vogel in Ihrer Ob- hut behalten, benötigen Sie laut Bundesgesetz über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel eine Bewilligung des Kantons (Jagdver- waltung).

Spezialfälle

Segler

Segler sind als reine Insektenfresser sehr schwierig aufzuziehen (siehe sep. Merkblatt). Aus dem Nest ge- fallene Jungvögel haben eine gewisse Überlebens- chance, falls wir diese einem Paar mit gleichaltrigen Jungen zur Adoption geben können. Betreuerinnen und Betreuer von Segler-Brutkolonien kennen mögli- che Ersatzeltern. «Stiefkinder» werden meist von den neuen Eltern angenommen. Auf Anfrage geben wir Ihnen die Adresse von Betreuerinnen und Betreuern der nächstgelegenen Seglerkolonie bekannt.

Greifvögel und Eulen

Greifvögel und Eulen (weissliche oder graue Dunen, hakenförmiger Oberschnabel) müssen immer in die Pflege von Fachleuten gegeben werden. Ihre Be- treuung ist aufwendig und erfordert grossen Sach- verstand. Vor der Auswilderung müssen die Jung- tiere auf den Beuteerwerb vorbereitet werden.

Künstliche Aufzucht von Singvögeln

Für den Fall, dass Sie einen Singvogel selber künstlich aufziehen möchten, erhalten Sie hier noch einige Pflegehinweise. Dabei müssen Sie wissen, dass die Aufzucht von Jungvögeln sehr viel Zeit und Geduld erfordert und ihre Überlebenschancen nach der Auswilderung gering sind. Solange sich der Jungvogel ruhig verhält und sich kaum vom Platz bewegt, wird er am besten in einer mit Haushaltpapier ausgelegten oben offenen Schachtel gehalten. Das Haushaltpapier muss häufig gewechselt werden, damit das Gefieder des Vogels nicht verschmutzt. Wenn der Jungvogel herumzuflattern beginnt, wird er in einem Käfig untergebracht.

Für alle Singvogel-Nestlinge kann folgendes Fut- ter verwendet werden: mageres Rindshackfleisch vermischt mit Insektenschrot aus dem Zoofachgeschäft im Verhältnis 1:1, angereichert mit etwas Futterkalk und einigen Tropfen eines Vitaminpräparates. Die Futtermischung muss gut angefeuchtet werden, die Vögel brauchen kein zusätzliches Wasser. Wenn der Jungvogel bettelt, wird das Futter mit einer stumpfen Pinzette oder einem stumpfen Zahnstocher in den Schlund gesteckt. Bettelt der Vogel nicht, muss er gestopft werden. Dazu hält man ihn wie folgt fest (Beschreibung für Rechtshänder): Wir nehmen den Vogel in die linke Hand, so dass Mittel-, Ring- und Kleinfinger seinen Körper umfas- sen und der Vogelrücken in der Handfläche liegt. Die Beine des Vogels klemmen wir zwischen Mittel- und Ringfinger ein, damit sich der Vogel ruhig ver- halten muss. Nun sind noch Daumen und Zeigfin- ger der linken Hand frei und müssen den Kopf des Vogels durch leichten seitlichen Druck festhalten. Mit einer stumpfen Pinzette wird das Futter weit in den Schlund gesteckt. Oft weigern sich die Vögel das Futter zu schlucken. Dafür gibt es einen Trick: Sie können den Schluckreflex auslösen, indem sie den Vogel am Schnabel fassen und den Kopf leicht nach oben ziehen.

Von Tagesanbruch bis -ende braucht ein noch ungefiederter Jungvogel vier Mal pro Stunde, später noch zwei Mal pro Stunde Futter – jeweils Portionen von Erbsen- bis Haselnussgrösse je nach Grösse des Vogels. Grundsätzlich soll der Vogel möglichst wenig direkten menschlichen Kontakt haben.

Wenn der Jungvogel das Alter erreicht hat, in dem er das Nest verlassen würde, wird er nicht mehr so gut sperren. Setzen Sie ihm eine Futterschale mit dem Aufzuchtfutter vor und beobachten Sie, ob er selber Futter aufnimmt. Meist erhöhen einige bei- gegebene Mehlwürmer oder Wachsmotten sein In- teresse für die neue Art der Nahrungsaufnahme. Sobald der Jungvogel im Käfig herumzuflattern be- ginnt, ist die Gefahr gross, dass die Federn beschä- digt werden. Allenfalls müssen die Käfigwände innen mit einem glatten Material (z.B. Plastik) abgedeckt werden. Bevor der Jungvogel in die Freiheit ent- lassen werden kann, müssen Sie sicher sein, dass er selbständig wirklich genug Nahrung aufnimmt. Diese Umstellung ist in jedem Fall kritisch, weil die Jungvögel normalerweise von den Eltern noch einige Tage geführt werden. Nachdem der Jungvogel einige Tage selbständig gefressen hat, entlassen Sie ihn frühestens 10 Tage, nachdem er flügge geworden ist, in die Freiheit. Achten Sie darauf, dass die neue Umgebung möglichst wenig Gefahren aufweist (Katzen, grosse Flächen ohne Deckung, Glasflächen).